Experimente wagen – im (Geld-) Kreislauf wirken

Jahresbericht 2019

„Expertise der Bürger ernst nehmen“

Seit 2017 arbeitet die GLS Treuhand mit der Initiative der Offenen Gesellschaft zusammen. Das Ziel: Menschen einladen, miteinander statt übereinander zu reden, die offene Gesellschaft zu verteidigen und gemeinsam mitzugestalten. 2019 förderte die GLS Treuhand unter anderen das Projekt „Bürgerforum“. Doch 2020 steht dieses immer noch nicht. EIn fehlgeschlagenes Experiment? Hannah Göppert und Max Bohm, beide Co-Geschäftsführer*in der Initiative, erzählen, warum es anders kam als gedacht.

Das Interview als Podcast

Was ist die „Offene Gesellschaft“?

Hannah Göppert: Die Initiative Offene Gesellschaft hat 2015 im Kontext des Sommers der Migration losgelegt, als die rechtspopulistischen Stimmen lauter wurden. Wir haben damals angefangen, Menschen ins Gespräch miteinander zu bringen, um zu zeigen, dass die Freundinnen und Freunde einer offenen Gesellschaft immer noch die Mehrheit sind. Bis 2017/2018 ging es uns vor allem um die Verteidigung der offenen Gesellschaft und der demokratischen Werte. Seit zwei Jahren legen wir den Fokus stärker auf die Weiterentwicklung einer offenen und pluralen Gesellschaft. Ursprünglich waren wir dafür ein großes Team, doch aktuell sind wir ein kleines aber tatkräftiges Team von fünf Leuten.

Ihr erweitert eure Aufgaben und verkleinert das Team? Wie kommt das?

Hannah: Wir wurden im letzten Jahr großzügig vom Bundesprogramm „Demokratie leben“ des Familienministeriums gefördert. Dort wurde jedoch die Strategie geändert und uns und vielen anderen bundesweit agierenden Trägern die finanzielle Unterstützung gestrichen. Sie wollen sich stärker auf lokales Engagement speziell im ländlichen Raum fokussieren.

Ist das für euch nachvollziehbar in Zeiten von Debatten der unter Druck geratenen Zivilgesellschaft?

Max Bohm: Ich glaube beide Thesen stimmen: Es ist total sinnvoll lokal zu fördern, andererseits sind auch Organisationen die bundesweit agieren und die lokalen Organisationen vernetzen, extrem wichtig. Und das sehe ich auch im Kontext der neueren politischen Entwicklungen als eine Strategie an, die sinnvoll ist. Von daher sind wir absolut pro, was die Idee angeht lokaler zu fördern, hoffen aber dass der Gedanke der bundesweiten Aktionen, der Vernetzung und des Weitertragens von Erkenntnissen nicht vergessen wird.

Hannah: Kern des Problems ist, dass sich die Bundesregierung immer noch nicht durchgerungen hat, ein Demokratiefördergesetz zu verabschieden. Das war sicher auch ein Hintergrund, dass keine Strukturen, sondern nur einzelne Projekte gefördert werden können.

Seit 2017 arbeiten die GLS Treuhand und die Offene Gesellschaft immer wieder zusammen. 2019 habt ihr mit der Tour der Offenen Gesellschaft bei uns in Bochum Halt gemacht. Was war das?

Hannah: Das Superwahljahr 2019, mit Wahlen in vielen Bundesländern und der Europawahl, haben wir zum Anlass genommen, eine Tour durch 14 Orte im ganzen Land zu veranstalten. Wir hatten eine modulare partizipative Wanderausstellung dabei. Menschen waren dazu eingeladen sich mit den Werten einer offenen Gesellschaft und den eigenen Freiheiten aktiv auseinanderzusetzen.Es konnten aber auch eigene Ideen für die Verbesserung des Miteinanders und für das Leben in der eigenen Stadt eingebracht werden. Diese Ideen haben wir mit der Ausstellung durchs Land zu den Menschen getragen.

Interviewpartner*innen

Initiative Offene Gesellschaft

Co-Geschäftsführerin

 

Initiative Offene Gesellschaft

Co-Geschäftsführer

Interviewer

Sven Focken-Kremer

GLS Treuhand

Leiter Kommunikation

2020 steht noch kein Bürgerforum. Ist das Experiment gescheitert?

Max: Wir begreifen das Experiment nicht als fehlgeschlagen, sondern den ersten Versuchsaufbau.  Unser Ansatz war es, einen temporären Raum zu bauen, in dem Politiker*innen und Bürger*innen auf Augenhöhe ins Gespräch kommen und zusammenarbeiten. Das war vielleicht für den ersten Schritt eine Nummer zu groß gedacht. Aber wir glauben weiterhin, dass diese Idee total wichtig ist, es jedoch anders aufgezogen werden muss. Nämlich erstmal versuchen, die Methoden und die Dinge, die an solchen Räumen passieren sollen, zu perfektionieren und auszuprobieren, um dann im zweiten Schritt auf stärkeren Grundlagen den Bau zu fordern.

Hannah: Aber bei der ressourcenintensiven Lobbyarbeit für das Projekt bei Bundestagsabgeordneten und Zivilgesellschaft haben wir gemerkt, dass die Idee in den unterschiedlichsten Kreisen auf wahnsinnig viel Resonanz stößt. Alle waren der Meinung, dass es so etwas braucht. Wir bleiben also dran an der Idee der Kultur einer neuen Zusammenarbeit, in der Politik die Expertise ihrer Bürger ernst nimmt.

Was kam bei den gesammelten Ergebnissen heraus?

Max: Grundsätzlich wurde der Raum sehr positiv angenommen. Wir hatten natürlich einen riesen Respekt davor, uns mitten in die Fußgängerzone zu stellen und mit den Passanten Diskussionen zu führen. Eine wesentliche Erfahrung für mich ist, dass eigentlich alle Menschen gesprächsbereit sind. Inhaltlich gab es 2019 sehr klaren Themen-Favoriten: Die Umwelt-/Klima Krise und damit zusammenhängend der Wunsch nach einer fahrradfreundlicheren Stadt.

Hannah: Es ist gelungen mit unserer radikal konstruktiven Gesprächsführung die Menschen von dem Mecker- und Problemmodus in den Lösungsmodus zu bringen. Das war ebenso spannend, wie die Widerlegung des Klischees, dass Menschen nur noch am Handy hängen und nicht mehr ins Gespräch mit Mitmenschen kommen wollen.

Bei der Tour hat auch eine weitere Idee von euch weiter Gestalt angenommen?

Max: Das Bürgerforum. Dessen Geschichte ging bei der Initiative Offene Gesellschaft bereits 2018 los, als wir eine zu große Schere zwischen Politik und Bürger wahrnahmen. Wir haben uns gefragt, wie sich diese Beziehung verbessern ließe bzw. für einen Raum es dazu bräuchte. In Gesprächen erfuhren, wir, dass genau so ein Raum schon mal angedacht war. Anfang der 90er Jahre war im Band des Bundes in Berlin als Herzstück ein Bürgerforum geplant. Direkt zwischen Paul-Löbe-Haus und Kanzleramt. Es hieß zwar Bürgerforum und es gab architektonische Ideen, aber kein Inhaltskonzept. Das ist vielleicht der Grund, warum es nicht gebaut wurde. Um diesen Raum für 2020 zu entwickeln, haben wir in 2019 einen Förderantrag bei der GLS Treuhand beantragt und bewilligt bekommen.

Wenn kein Bau entstanden ist, was dann?

Max: Wir haben alle Ergebnisse des letzten Jahres zu einem sehr detaillierten Konzept des Bürgerforums zusammengetragen, wo Methoden und Bereiche des Bürgerforums beschrieben sind. Als eine inhaltliche Idee, was an einem solchen Ort stattfinden kann und was die Vorteile aller Beteiligten sein können. Das ist eine super Grundlage, um weiter für diese Idee zu werben. Und das passiert auch weiter parallel.

Ihr habt ein mutiges Experiment gewagt. Was braucht es, damit Experimente und die Ideen überhaupt entstehen können?

Max: Es braucht ganz grundsätzlich eine experimentierfreudigere Mentalität auf Seiten der Individuen aber auch auf Seiten von Organisationen. Gerade was Fördermittel angeht, erleben wir es oft, dass diese zweckgebunden und kaum flexibel sind. Und immer wenn wir flexible Mittel haben, merken wir, dass wir wesentlich praxisgetreuer und schneller arbeiten können. Wir wünschen uns eine Förderlandschaft, die auf Vertrauen und partnerschaftlicher Zusammenarbeit basiert, anstatt auf Kontrolle. Meine Vermutung ist, dass dann auch die Projekte mutiger und experimentierfreudiger werden.Und deswegen sind wir sehr froh, dass dieses Interview stattfindet. Weil das genau der Umgang ist, den wir uns wünschen. Das man uns ein Vertrauen entgegenbringt, aber eben auch ganz offen darüber spricht, was gut und was schlecht gelaufen ist und was als Learning herauskommt. Das ist der Ansatz und die Beziehung, die wir uns mit Institutionen wünschen, die uns fördern.

Unterstützen, Kennenlernen, Mitmachen

Die Initiative Offene Gesellschaft unterstützen: Mit der 1.000 x 10-Kampagne kann die Initiative schon mit monatlich 10 Euro unterstützt werden. Finden sich 1.000 Unterstützer*innen, ist die Arbeit der Initiative für ein Jahr gesichert und sie kann flexibler auf aktuelle gesellschaftliche Geschehnisse reagieren.

Kontakt unter: freunde@die-offene-gesellschaft.de

Förderpartnerin: Initiative Offene Gesellschaft e.V. Gefördert durch: GLS Treuhand e.V. Förderbereich: Zivilgesellschaft/Demokratie, Menschenrechte

Weitere Informationen

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