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Krieg – ganz persönlich

23.07.2024

Ein probates Mittel gegen Intoleranz und Rassismus ist es, Situationen zu schaffen, die Selbstreflektion und Empathie fördern. Dies tut auch Stadtverwaltung der niedersächsischen Stadt Holzminden und engagiert sich gegen Krieg und Rechtpopulismus vor Ort. In 2024 wählte sie einen spannenden künstlerischen Weg, um bei ihren Bürger*innen einen kritischen inneren Auseinandersetzungsprozess mit dem Thema Krieg und seinen Folgen anzuregen.


In der Ausstellung "WAR und ist Krieg" setzen sich drei Künstlerinnen aus drei Nationen (Deutschland, Ukraine und Polen) mit den Auswirkungen von Krieg, Rechtspopulismus und Nationalsozialismus in den eigenen Familien über mehrere Generationen bis hin zur Gegenwart auseinander. Die Aufarbeitung der persönlichen Erlebnisse bzw. der eigenen Familiengeschichte sollte bei den Besucher*innen bewirken, dass die kollektive Vergangenheit ihre Abstraktheit verliert und sie nun persönlich und im Hier und Jetzt erlebbar wird.

Sabina Kaluza, Yvonne Salzmann und Yuliia Shkvarchuk | Foto: Thorsten Stelzner

Yvonne Salzmann – Bilder aus Kriegszeiten und der Gegenwart verschmelzen

Yvonne Salzmann hat ein Tagebuch ihres Urgroßvaters aus dem Ersten Weltkrieg sowie Fotografien ihres Großvaters aus dem Zweiten Weltkrieg aufgearbeitet und daraus zwei Kurzfilme gemacht. Darüber hinaus kombinierte die Fotografin mithilfe der Doppelbelichtung Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg mit aktuellen Fotos aus ihrem Leben. Damit zeigte sie, wie tief die Kriegsvergangenheit in der eigenen Familie verwurzelt ist und wie weit sie unsichtbar ins Heute hineinwirkt.

Fotomontage von Yvonne Salzmann

Sabina Kaluza – wie der Krieg eine Familie spaltet

Sabina Kaluzas Familie kommt aus Schlesien, welches vor dem Zweiten Weltkrieg zum Grenzgebiet zu Polen zählte. Ihr deutscher Großvater Franz wurde Wehrmachtssoldat, ihr polnischer Großvater Leo kam in verschiedene KZ. Seit dem Kalten Krieg wurde das Gebiet Polen zugesprochen – Ressentiments gegen die vormals Deutschen wuchsen. Kaluzas Familie war in eine „Täter- und eine Opferseite“ gespalten, was sich bis heute wie eine offene Wunde durch ihre Familiengeschichte zieht. Mit ihren Ausstellungsobjekten verleiht die Künstlerin dieser Ambivalenz Ausdruck: Für Opa Franz installierte sie eine Konstruktion aus Wehrmachts-Identitätsplaketten. Für Opa Leo einen Schaukasten, durch den man die Nummer sehen kann, die er im KZ trug. Egal auf welcher Seite man steht: Für die Kriegsmaschinerie ist man nur eine Nummer.

Für Opa Franz und Opa Leo von Sabina Kaluza

Yuliia Shkvarchuk – Grüße aus Chernihiv

Die Fotografin Yuliia Shkvarchuk zeigt uns den weiterhin tobenden Krieg an EUs Ostgrenze im Postkartenformat. Wie in einem Touristikbüro hat sie Postkartenständer mit unterschiedlichen Motiven aus der zerstörten nordukrainischen Stadt Chernihiv aufgestellt. „Es geht nicht nur um die Ukraine, es geht um die ganze Welt!“, schreibt sie in einem Brief an die Ausstellungsgäste. „Bewahrt euer Leben, wie es ist, denn wenn auch ihr vom Fliegeralarm geweckt werdet, ist es zu spät.“

Grüße aus Chernihiv von Yuliia Shkvarchuk

Veronica Frenzel – wie die Nazi-Vergangenheit der eigenen Familie bis heute prägt

Die Ausstellung in der Stadtbibliothek Holzminden wurde von einer Filmaufführung und Lesungen begleitet. Besonders berührend war der Vortrag der Autorin und Journalistin Veronica Frenzel. Den Ausschlag gab die Erkenntnis, dass sie bei sich selbst rassistisches Gedankengut entdeckt hat, das sie von ihrer Großmutter übernommen hatte, welche sie großzog. Als Frenzel sodann begann, die Geschichte ihres Großvaters aufzuarbeiten, stieß sie in der eigenen Familie auf Ablehnung und Schweigen. In Archiven wurde sie schließlich fündig: Ihr Großvater war bei der Waffen-SS. Wie kann man sich mit so einer Familienvergangenheit versöhnen? Veronica Frenzel nach geht das nur durch die persönliche, individuelle Selbstkritik.

Bei der Filmaufführung „Zuflucht – Zuversicht – Zukunft: 12 Kriegskinder erzählen“ erzählten einige der Protagonisten, die den Krieg überlebt haben, zum ersten Mal von ihren Erlebnissen. Die emotionalen Geschichten machten klar, dass Kriegserfahrungen auch nach 80 Jahren ihren Schrecken nicht verloren haben.

Abgerundet wurde das Programm mit einer lyrischen Lesung vom Braunschweiger Lyriker, Satiriker und Politpoeten Thorsten Stelzner. Unter den vorgetragenen Texten war auch ein Gedicht, dass er eigens zur Ausstellung verfasst hat.

Festzuhalten ist: Kriege kennen nur Verlierer. Und die dadurch entstehenden millionenfachen Traumata sind auch nach Jahrzehnten und bei nachfolgenden Generationen schmerzhaft spürbar.

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Gefördert: Ausstellung "Krieg – ganz persönlich"