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Demokratie ist Solidarität: Anette Koch vom Mentor*innenprogramm des XENION e.V. im Interview

13.06.2025

Beim Mentoringprogramm von XENION begleiten Berliner*innen geflüchtete Menschen. Sie unterstützen als ortskundige Vertrauenspersonen bei alltäglichen Dingen und vermitteln Kultur und Sprache. 2024 feierte das Programm 20-jähriges Jubiläum und wurde mit dem 2. Platz des Roman Herzog Preises ausgezeichnet. Ein schöner Anlass, um mit Programmleiterin Anette Koch über die Höhen und Tiefen der vergangenen Jahre zu sprechen:

Was zeichnet das Mentoringprogramm von Xenion aus?

Anette Koch: Wir begleiten die Tandems aus Ehrenamtlichen und Geflüchteten Schritt für Schritt. So entwickelt sich eine starke zivilgesellschaftliche Wirkung. Letztendlich ist das die beste Prävention gegen rassistische Vorurteile, denn die im Mentoring gemachten Erfahrungen wirken auch über die Tandems ins soziale Umfeld hinein.

Das Besondere an unserem Programm ist die Langfristigkeit der ehrenamtlichen Begleitung und die engmaschige Betreuung durch das hauptamtliche Team. Die Ehrenamtlichen unterstützen die Geflüchteten über den Zeitraum von mindestens einem Jahr in wöchentlichen Treffen. Um Überforderungen seitens der Ehrenamtlichen zu vermeiden und Beziehungsabbrüche zu verhindern, werden die Tandems durch eine feste Ansprechperson aus dem Team beraten und unterstützt. Schulungen vermitteln außerdem relevante Informationen, Austauschrunden und Supervision bieten Entlastung. Darüber hinaus sind die Tätigkeiten der Ehrenamtlichen klar abgegrenzt von den professionellen Unterstützungsangeboten bei XENION wie Beratung und Therapie, wo die Geflüchteten zusätzlich angebunden sind.

Das Xenion-Team mit Anette Koch unten in der Mitte | Foto: Xenion e.V.

Würden Sie sagen, dass das die Demokratie stärkt?

AK: Auf jeden Fall! Das Programm fördert zivilgesellschaftliches Engagement, was zu einer lebendigen Demokratie dazugehört. Es bringt Menschen zusammen, die sich sonst wahrscheinlich nicht begegnet wären. Sie lernen ihre unterschiedlichen Lebensperspektiven kennen und entwickeln Verständnis füreinander. Das stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig. Außerdem erlangen die Geflüchteten durch die Alltagsbegleitung mehr Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Die vielen Menschen, die sich als Mentor*innen und Mentees bei uns engagieren, tragen ihre Erfahrungen gelebter Solidarität in die Gesellschaft. Gerade jetzt, wo der öffentliche Diskurs nach rechts rückt, ist diese gesellschaftliche Wirkung des Programms wichtiger denn je.

War der Umgang in Berlin mit den Geflüchteten schon immer so wie jetzt?

Nein, das kann man sich heute kaum vorstellen. In den 1990er Jahren, als Xenion-Gründer Dieter Koch mit der Flüchtlingshilfe anfing, wurden in Berlin Stacheldrahtzäune um die Wohnheime gezogen, man kam nur mit einer Ausweiskontrolle hinein. Daher schien auch die Idee riskant, Ehrenamtliche, also Laien, mit einzubinden. Aber es hat von Anfang an gut geklappt und das Miteinander hat sich deutlich verbessert.

Mit welchen Herausforderungen haben die von Ihnen betreuten Menschen oftmals zu kämpfen?

AK: Wir müssen uns klarmachen, dass durch das Programm Geflüchtete zum ersten Mal seit langer Zeit wieder lernen Vertrauen zu fassen. Diese Menschen haben Krieg, Gewalt und andere sehr schlimme Dinge erlebt und auch in Deutschland sind sie nicht selten Diskriminierung ausgesetzt. Nun können sie die Erfahrung machen, dass es guttut, mit anderen Menschen zu sprechen und Zeit zu verbringen. Das hilft ungemein, um in Deutschland – im Exil – anzukommen und sich wieder als Teil einer Gesellschaft zu fühlen.

Wie sehen Sie die Entwicklungen, die die Mentoring-Tandems machen?

Wenn wir in gemeinsamen Abschlussgesprächen zurückblicken und sehen, wie viel sich für die Mentees zum Positiven verändert hat, ist das immer besonders schön und ermutigend. Einblicke in zwei Tandems habe ich mitgebracht.

Tandem Cyril & Nariman

Aus dem Mentoring ist für Cyril und Nariman eine familiäre Beziehung geworden, denn die beiden beschreiben sich liebevoll als „Mutter und Sohn“.

Nariman:

Also das Wichtigste, was ich von Cyril gelernt habe, ist die Art und Weise, wie ich mich beruhigen kann. Besonders mit dem ganzen Papierkram in Deutschland war ich immer ungeduldig und sehr unruhig. Wenn wir Deutsch lernen oder üben, zeigt er auch richtig viel Geduld.

Cyril:

Ich habe viel über das Leben in Syrien gelernt und eine ganz andere Vorstellung davon bekommen, was Krieg bedeutet. Man sieht immer Bilder in den Medien, aber wenn man dann wirklich Leute trifft, die das durchmachen mussten, bekommt man eine ganz andere Perspektive.

Mentoring-Tandem Cyril und Nariman | Foto: Xenion e.V.

Tandem Hassan & Philipp

Hassan und Philipp haben sich im Sommer 2016 kennengelernt. Philipp war gemeinsam mit seiner Familie Mentor für Hassan und dessen Familie, die er besonders in den ersten Jahren nach ihrer Flucht bei vielen Herausforderungen begleitet hat.

Philipp:

Hassan zeichnet sich dadurch aus, dass er sich nicht einfach zurücklehnt und sich helfen lässt, was man ja ein bisschen in unserer Beziehung erwarten könnte. Hassan hat eine wahnsinnig tolle eigene Energie, Projekte anzustoßen.

Hassan:

Philipp ist sehr freundlich und wenn er kann, dann hilft er sofort. Wenn ich von ihm Hilfe brauche, dann ist er immer da. Sogar wenn er im Urlaub ist. Ich kann mich auf ihn verlassen und ihm vertrauen.

 

Mentoring-Tandem Hassan und Philipp | Foto: Xenion e.V.

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