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Freie Presse ist weltweit in Gefahr – so stärken wir sie
28.04.2025
Eine freie, unabhängige Presse ist für eine gesunde Demokratie unverzichtbar. Warum das heute keine Selbstverständlichkeit ist und was dagegen hilft, diskutieren die GLS Treuhand und der Media Development Investment Fund (MDIF) mit Expert*innen verschiedener Fachbereiche.
Dass eine freie Presse und eine gesunde Demokratie unverzichtbar sind, steht u.a. in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Jedoch ist zu beobachten, dass globale Technologiekonzerne sowie autokratisch regierte Länder unabhängige Redaktionen immer stärker unter Druck setzen oder sie sogar abschaffen. Das geschieht beispielsweise durch den Aufkauf von Medienhäusern und die Durchsetzung der politischen und wirtschaftlichen Interessen des Käufers („media capture“). Dies war etwa in Polen während der PiS-Regierung zu beobachten und ist bis heute unter der ungarische Fidesz-Partei der Fall. Auch in Kroatien, Georgien und der Slowakei gibt es diese Tendenzen – sozusagen vor unserer Haustür.
Gleichzeitig ist eine nachhaltige, gemeinnützige Finanzierung von Qualitätsjournalismus, die üblicherweise im Spannungsfeld zwischen staatlicher Förderung und reinem Marktmechanismus steht, schwierig. Umso vielversprechender ist hier der Ansatz des gemeinnützigen Media Development Investment Funds (MDIF), der über Anteile an unabhängigen, pluralistischen Medienhäusern diese vor autoritären Übernahmen schützt (s. auch „De-risking Press Freedom“ von Patrice Schneider). Wie dieses Konzept gestärkt werden kann und was darüber hinaus zu tun ist, war das Thema, zu dem der MDIF (vertreten durch Patrice Schneider) zusammen mit der GLS Bank (vertreten durch Dr. Lukas Adams) und der GLS Treuhand (vertreten durch Dr. Hermann Falk) Stifter*innen, Finanzexpert*innen und weitere Interessierte zum Austausch nach Frankfurt einlud. Das von Hermann Falk moderierte Panel rundeten Maribel Königer von der österreichischen ERSTE Stiftung, Maciej Maciejowski von der polnischen Gremi Media sowie Prof. Dr. Petra Schleiter von der University of Oxford ab.

Wie steht es um die Demokratie weltweit?
Wir können laut Freedom House seit 15 Jahren die Einschränkung fundamentaler Freiheitsrechte beobachten, global in allen Teilen der Welt und auf jedem Entwicklungsniveau. Der Prozess ist jedoch ein schrittweiser und somit anders als der bei politischen Putschen in der Vergangenheit. Politikerinnen und Politiker polarisieren dabei den politischen Diskurs und greifen die „Checks and Balances“ an, also Gerichte, parlamentarische Institutionen und die unabhängigen Medien. Neu ist, dass dieser Prozess sich in den Kernländern der Demokratie, also Europa und den USA, ausbreitet.
Die Demokratien kommen ins Wanken, weil zu viele Wählerinnen und Wähler nicht glauben, dass sie ihnen eine bessere Zukunft sichern. Wissenschaftlich lassen sich dafür zwei große Gründe ausmachen: Einmal die wachsende wirtschaftliche Unsicherheit und Ungleichheit und einmal der kulturelle Unmut, der sich durch die Erosion der etablierten Statushierarchien breit macht. Daher stößt die Behauptung von Populisten, dass die Demokratie reichen und „woken“ Eliten dient, auf große Resonanz.
- Unabhängige Medien werden der politischen Kontrolle unterstellt.
- Einschüchterungsklagen gegen Medienhäuser und Pressevertreter erfolgen, um sie „mundtot zu machen“, auch mit Hilfe von hohen Schadensersatzforderungen und Verfahrenskosten.
- Unabhängige Medienhäuser werden durch regimenahe Vertreter aufgekauft.
- Die Regulierung des Werbemarktes erfolgt so, dass unabhängigen Medien Werbeeinnahmequellen verloren gehen.
- Systematische Angriffe erfolgen auf unabhängige Journalistinnen und Journalisten, um ihre Vertrauenswürdigkeit zu schwächen.
Nach Maciej Maciejowski, CEO der durch den Versuch von Media Capture kurzzeitig gefährdeten Tageszeitung „Rzecz pospolita“, sind das vor allem:
- Freie Märkte ermöglichen, in denen private Medienunternehmen agieren können.
- In freie Medien durch Werbeausgaben und Abonnements investieren, damit sie ein Gegengewicht bilden können, wenn Staatsmedien okkupiert werden.
- Bildung vor allem für den Nachwuchs, damit sie Nachrichten aus den Sozialen Medien (und somit auch Fake News) einzuschätzen lernen.
„Wir alle: Institutionen, Unternehmen und Bürger*innen sollten Inseln der Kohärenz (islands of coherence) in einem Meer des Chaos sein. Sie haben das Potenzial, das ganze System umzukrempeln.“ – Patrice Schneider
„Inseln des Alternativen nenne ich das, und das sind wir auch als GLS Bank. Wir sind im vergangenen Jahr 50 Jahre alt geworden, sind also erfolgreich in dem, was wir tun. Das ist eine Art, mit der man sich „wetterfest“ machen kann.“ – Lukas Adams
„Ich möchte die Konsument*innen betrachten und denke, dass sie auch angesprochen werden können von der anderen Seite des News-Kanals, sodass sie mitmachen können und Demokratie mitgestalten; es sollte einen Raum geben, der die Menschen an die Medien bindet.“ – Maribel Königer
„Handle ethisch! Denn das ist, was die Medien verloren haben – mit Klickbait, Fake News und Fake Sources. Wirtschaftlichkeit ist der modus operandi, aber Ethik ist der dahinterliegende Wert.“ – Maciej Maciejowski
„Aus politischer Sicht braucht es vier Ansätze: politische Narrative, die Menschen vereinen und eine positive Zukunft verheißen; politische Prozesse, die Vertrauen und Loyalität schaffen; Beteiligung vereinfachen; Politik von den Interessen der breiten Bevölkerung aus machen und diese Herausforderungen den Politiker*innen zumuten.“ – Petra Schleiter
Wie ist es in Polen gelungen, die freie Presse wieder zu stärken?
Beispielhaft für das Auf und Ab der freien Medien in Polen erklärt Maciej Maciejowski, CEO der Holdinggesellschaft, unter deren Dach die „Rzecz pospolita“, die älteste Zeitung und führendes Wirtschaftsmedium in Polen, die 2022 gebannt und von der Regierung als „feindliches Unternehmen“ gebrandmarkt wurde:
„Wir haben wenigstens diese Etappe bei den Wahlen in 2023 gewonnen. Manche autoritären Regimes lernen schneller, manche langsamer. Wir hatten das Glück, dass die PiS nicht so schnell vom Vorbild Orbán gelernt hat. Nach sieben Jahren kehrten wir mit über sieben Millionen Leserinnen und Lesern als meinungsführendes Medium zurück, das gelang uns auch dank der Investments von Pluralis und MDIF.“
Was leisten Fonds wie der MDIF?
„Wenn öffentlich relevante Informationen wie Infrastruktur behandelt würden, dann wären Desinformationskampagnen so etwas wie Umweltverschmutzung.“ - Patrice Schneider Patrice Schneider, Chief Strategy Officer beim MDIF erklärt das Ziel hinter dem Fonds:
„Wir haben mit MDIF vor 30 Jahren angefangen und mit Pluralis einen Fonds entwickelt, der beim Ausverkauf der unabhängigen Presse in Europa mitbieten und somit Media Capture verhindern kann. Das braucht auch Banken wie die GLS Bank, die dafür eine Anleihe strukturiert und durch ihre Kundinnen und Kunden Kapital geliefert hat. Während sich unser Pluralis-Fonds an europäischen Medienhäusern beteiligt, investieren wir mit dem gemeinnützigen MDIF vor allem im globalen Süden und möglichst in aufstrebenden Demokratien. In der Regel erzielen wir damit drei Prozent ROI (Return on Investment). Für gewöhnliche Anleger ist das vielleicht zu wenig, aber unser Standpunkt ist, dass das, was uns in der Gewinnspanne fehlt, der soziale Mehrwert für die ‚frei fließenden Informationen von öffentlichem Interesse‘ ist. Ein dritter Weg zwischen öffentlicher und privater Finanzierung ist der Mix aus beidem.“
Strukturen wie der MDIF können auch von gemeinnützigen Organisationen gestärkt werden
Maribel Königer von der ERSTE Stiftung ordnete die Arbeit des Fonds aus der Sicht einer gemeinnützigen Stiftung ein: „Pluralis kam mit einer Idee, die für mich total schlagend war: Es ist super, wenn wir uns darum kümmern, Medien zu fördern, die sich neu auf den Weg machen, um Fake News und dergleichen entgegenzutreten. Aber was ist mit den etablierten Häusern, die von Media Capture bedroht sind? Wollen wir zuschauen, wie sie ‚hintenüber‘ fallen? Beispielsweise hat ein österreichischer Unternehmer eine große ungarische Tageszeitung gekauft und sie dann am nächsten Tag geschlossen – so geht es dann auch. Und dann kam Pluralis daher. Umso erfreuter war ich, dass wir als Stiftung auch Impact Investments machen dürfen und nun Investoren in Pluralis sind. Gut dabei ist nicht nur die Zielsetzung, Medienvielfalt zu erhalten, sondern auch, dass die Investoren bei Pluralis vielfältig sind.“
Gibt es auch aus unternehmerischer Sicht Gründe, um die freie Presse zu stärken?
Man könnte meinen, für Unternehmen sei es lukrativer, in autoritären Regimes ihre Geschäfte zu investieren. Laut Professorin Petra Schleiter ist es wissenschaftlich gut untersucht, dass autoritäre Regimes mancherorts ein schnelles wirtschaftliches Wachstum ermöglichen. Die Evidenz ist jedoch genauso klar, dass Demokratien wirtschaftliches Wachstum stabiler, zuverlässiger und besser erreichen – und so auf lange Sicht um 20 Prozent höheres Wirtschaftswachstum erzielen. Das liegt an den regelbasierten Strukturen, die beispielsweise das Hab und Gut schützen und Risiken für Unternehmen minimieren. Daher sollte auch Unternehmen daran gelegen sein, demokratische Strukturen zu stützen. Nicht alle Unternehmen erkennen ihre Interessen und damit ihre Wirkung in Situationen, in denen die Demokratie angegriffen wird.
„Demokratien fallen nicht, solange sich nicht mächtige wirtschaftliche Interessen und die ihnen nahestehenden Parteien mit Populisten und autoritären Kräften verbünden. Da gibt es einen ordentlichen Handlungsspielraum, den sich Unternehmen zunutze machen können.“ Prof. Petra Schleiter