Medizinische Grundversorgung für alle!

09.12.2021

Ein Blick in die Arbeit von Medical Volunteers International e.V.

Medizinische Grundversorgung für alle – dafür steht der Medical Volunteers International e.V.  und ist bereits seit 2016 in Griechenland und mittlerweile auch Bosnien tätig.
Ins Leben gerufen wurde der Verein, nachdem das Gründungsmitglied Kai Wittstock als Freiwilliger im griechischen Lager Idomeni arbeitete und der Missstand an fehlender medizinischer Grundversorgung für Geflüchtete umso deutlicher wurde. Der Verein sucht und koordiniert medizinisch qualifizierte Freiwillige, um in einem internationalen Team kostenlose medizinische Versorgung zu gewähren für Menschen, die ansonsten keinen Zugang erhalten würden.

Die GLS Treuhand unterstützt den Verein im Rahmen des Stiftungsfonds Zivile Seenotrettung. Wir haben mit Verena Seyer, Kommunikator*in des Vereins, über die Arbeit von Medical Volunteers International e.V. gesprochen.

 

Freiwillige von Medical Volunteers International e.V. bei Ihrer Arbeit auf Lesbos, Foto und Rechte: Tessa Kraan

Ihr Kontakt

Was tut Medical Volunteers International?
Medical Volunteers International (MVI) leistet medizinische Hilfe für Geflüchtete. Uund zwar dort, wo es wirklich nötig ist, wo Menschen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben oder ohne Angst vor Rassismus oder Deportation keine*n Arzt/Ärztin aufsuchen könnten. Unser gemeinnütziger Verein mit Sitz in Hamburg wird von Freiwilligen getragen, die durch ihren Einsatz schnelle und unkomplizierte Hilfe ermöglichen. Neben der vorwiegend medizinischen Hilfe bietet MVI in zwei Projekten auch mentale Unterstützung für Geflüchtete an.

Wo ist Ihr Verein aktiv?
MVI ist an den europäischen Außengrenzen tätig. Bereits seit einigen Jahren versorgt MVI Geflüchtete in Griechenland: aktuell an den Standorten Athen, Thessaloniki und auf der Insel Lesbos. Seit Ende letzten Jahres haben wir auch ein kleines Team in Bosnien, das nahe der Grenze zu Kroatien tätig ist.

Warum braucht es diese Arbeit?
Es sind einerseits jene Menschen, die (noch) keinen legalen Aufenthaltstitel haben (weil sie z.B. in diesen Ländern bloß auf der Durchreise in ein anderes Zielland sind) und die durch öffentliche Systeme keine Hilfe erhalten. Andererseits sehen wir aber auch, dass die öffentlichen Systeme oftmals überlastet sind und den Geflüchteten daher nicht die Unterstützung geboten wird, die es brauchen würde. Als zivile Initiative ist es uns ein Anliegen, dass allen Menschen eine menschenwürdige medizinische Versorgung ermöglicht wird - unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, Sprache, Religion usw.

Welche Hürden erleben Sie in Ihrer täglichen Arbeit?
In erster Linie sind es bürokratische Hürden, die es kleinen Initiativen, wie wir eine sind, erschwert, um vor Ort aktiv werden zu können. Registrierungsprozesse gestalten sich oft langwierig und erschweren dadurch eine sofortige Hilfe. Zusätzlich sind die Anforderungen für Genehmigungen oftmals sehr hoch und mit einem administrativen Aufwand verbunden, der kleine Organisationen vor eine wahre Herausforderung stellt bzw. ihnen das Helfen unmöglich macht.

Wie kommen Sie in Kontakt mit den Geflüchteten und umgekehrt?
Durch unsere mehrjährige Tätigkeit in Griechenland ist MVI in der Geflüchteten-Community bereits bekannt. Je nach Standort unterscheidet sich wie die Patient*innen mit uns in Kontakt treten können. In Athen haben wir seit dem ersten Lockdown letztes Jahr ein Patient*innen-Telefon im Einsatz, wo sich Menschen, die Hilfe benötigen, melden können. Wir klären dadurch wie dringend die Person eine/n Mediziner*in sehen muss und vereinbaren Termine. In Thessaloniki haben wir einen eigenen Standort mit festgelegten Zeiten, wo Geflüchtete kommen können, um von unserem Team medizinisch versorgt zu werden. Auf Lesbos sind unsere Mediziner*innen täglich im Camp Mavrovouni im Einsatz und die Bewohner*innen des Camps können zu den bekannten Zeiten zum Ärztezelt kommen, um dort behandelt zu werden. Zusätzlich sind es unsere Partnerorganisationen vor Ort, die auf unser Angebot hinweisen und die Menschen an uns verweisen.

Ist das Vertrauen sofort da? Gibt es Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme/den Hilfsangeboten?
Sprache ist natürlich eine Herausforderung. Unsere Freiwilligen kommen aus den unterschiedlichsten Ländern der Welt, während unsere Patient*innen vorwiegen aus Afghanistan, Syrien, Pakistan, Bangladesch und afrikanischen Ländern stammen. Um die sprachliche Barriere zu überwinden, werden wir von Menschen aus der Geflüchteten-Community unterstützt, die zwischen Mediziner*in bzw. Psycholog*in und Patient*in übersetzen. Unsere Übersetzer*innen nehmen hierbei eine zentrale Rolle ein im Patient*innen-Gespräch. MVI hat sich dank unserer fantastischen faszinierenden Freiwilligen einen sehr vertrauenswürdigen Ruf geschaffen, wodurch Geflüchtete uns offen begegnen.

Kooperieren Sie mit anderen Organisationen, Institutionen, Regierungen o.ä.?
Wir sind an all unseren Standorten im Austausch mit anderen Organisationen und Institutionen sowie auch mit öffentlichen Einrichtungen. Eine kooperative Zusammenarbeit ist essentiell, um gemeinsam die Lebensbedingungen der Geflüchteten an den Standorten zu verbessern.

Die Helfer*innen vor Ort sind Freiwillige. In welchen Bereichen sind sie tätig?
In unseren Projekten zur allgemeinmedizinischen Versorgung bestehen unsere Teams aus Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen, Rettungssanitäter*innen und Medizinstudent*innen. In unseren Projekten zur mentalen Unterstützung der Geflüchteten sind es vorwiegend Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen, die versuchen mit den Menschen auf Lesbos ihr Erlebtes zu verarbeiten, um wieder eine Perspektive für ihr Leben zu erlangen.

Wie arrangieren die Freiwilligen ihre Freiwilligenarbeit mit ihrer Erwerbstätigkeit Zuhause?
Viele unserer Freiwilligen nehmen Urlaub von ihrem Job in den Heimatländern, um dann einige Wochen ihren Hilfseinsatz mit uns leisten zu können. Wir sehen aber auch vermehrt Freiwillige, die bei Jobwechsel oder Sabbaticals auch mehrere Monate bleiben. Ohne den Einsatz unserer Freiwilligen wäre unsere Arbeit nicht möglich. Das humanitäre Engagement unserer Freiwilligen zeigt uns tagtäglich wie groß die Bereitschaft in der Zivilgesellschaft ist geflüchtete Menschen zu unterstützen.

Sind das nicht auch enorme psychische Belastungen? Wie gehen Sie damit um?
Die Arbeit in Griechenland und in Bosnien ist enorm herausfordernd. In vielen Situationen muss schnell reagiert werden, es müssen Entscheidungen getroffen werden. Zusätzlich sind es die Erzählungen unserer Patient*innen über ihre Erlebnisse in ihren Heimatländern bzw. auf der Flucht, die auch für unsere Freiwilligen oft nicht einfach zu verarbeiten sind. MVI hat hierfür zwei Psycholog*innen im Einsatz, die dem Team unterstützend zur Verfügung stehen. In den Projekten zur mentalen Unterstützung der Geflüchteten erhalten die Teammitglieder regelmäßig einen Support durch Supervision.

Medical Volunteers International e.V. bietet auch mentale Unterstützung für Geflüchtete an, Bild und Rechte: Romain Kosellek

Wie kann man helfen oder sogar mitmachen?
Jede Aufmerksamkeit hilft. Die Situation der Geflüchteten an den Außengrenzen Europas erhält kaum noch öffentliche Aufmerksamkeit. Jede*r kann dazu beitragen im eigenen Bekannten-, Freundes- oder Kollegenkreis darüber zu sprechen. Die mangelnde Aufmerksamkeit hat zudem dazu geführt, dass das Spendenaufkommen drastisch gesunken ist. Daher sind wir auch dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um unsere Arbeit weiterhin fortsetzen zu können.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass wir nicht mehr gebraucht zu werden. Das ist vermutlich der Wunsch jeder humanitären Initiative. Europa und seine politischen Entscheidungsträger*innen sollten ihre Verantwortung leben und für Geflüchteten einen fairen Asylprozess und menschenwürdige Lebensbedingungen schaffen. Solange das nicht erfüllt ist, werden wir die Menschen nicht im Stich lassen. Denn für uns gilt: Medizinische Versorgung ist ein Menschenrecht.

Wir wünschen Ihnen und Ihrem Verein alles Gute. Vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Isabel Joswig, Mitarbeiterin der Kommunikation des GLS Treuhand e.V.

Bild und Rechte: Romain Kosellek

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